Wie man einer Kamera das Tanzen beibringt – Ein Abend mit Wim Wenders

Wim Wenders empfängt uns in der Kulisse des Stücks „Café Müller“, dessen Uhraufführung 1978 im Opernhaus Wuppertal war. 1985 sah er das Stück bei einem Gastspiel in Venedig. Der Beginn einer langen Freundschaft mit Pina Bausch und des Plans ein gemeinsames Filmprojekt zu realisieren. Der Abend handelt von Bewegung, als innerer und äußerer Prozess. Wim Wenders möchte uns bewegen.

Unser Gastgeber spielt Musik, im Hintergrund laufen Filmszenen aus „Himmel über Berlin“. Er erzählt uns, wie das Filmteam mit allen Mitteln die Kameras zum Fliegen brachte, damit sie sich wie Engel bewegten. Als die Kamera die Bewegung der Engel gelernt hatte – durch Wände und Menschen hindurch gehen konnte – entsprach das noch nicht der Wirkung, die das Bild vermitteln sollte. „Wie bringt man einer Kamera Spiritualität bei?“ fragt sich der Filmemacher und die Schauspieler erhalten fortan die Regieanweisung, eine liebevolle Haltung und liebevolle Blicke auszustrahlen. Von da an ist nicht mehr nur wichtig welche Einstellung gedreht wird, sondern mit welcher Einstellung. So wird eine Aura der Zuneigung vermittelt.

Nun ertönen kubanische Klänge; die Filmmusik zur Dokumentation über Buena Vista Social Club. Wim Wenders begleitet seinen Freund Ry Cooder spontan nach Kuba, wo dieser das Album “Buena Vista Social Club” aufnimmt. Er erzählt die beeindruckende Geschichte darüber, wie das Filmprojekt zu Stande kam. Sie handelt von Leidenschaft, Inspiration, Spontaneität, Zufall, Begegnung, Respekt und Anerkennung. Ein Ereignis, bei dem der Kameramann zum Musiker wird und die Musiker sich als Kameramann erproben, bricht das Eis zwischen den vermeintlich ungleichen Menschen. Von diesem Moment an, respektieren sie ihre jeweiligen Fähigkeiten und die Kamera kann hautnah dabei sein. Durch und mit der Verfilmung wird die Kamera musikalisch. Sie lernt den Groove.

Über 20 Jahre sollt es dauern, bis das Projekt, einen Film über Pina Bausch zu machen Realität wird. “Vorher, sagt Wim Wenders, war es nicht möglich.” Er hatte keinen Weg gesehen, Tanztheater filmisch umzusetzen, ohne Pina Bausch zu enttäuschen. Dann kam die 3D Technik auf den Markt. Eine Technik, die dazu verhalf, den Tanz mit seiner räumlichen Dimension darzustellen. Im September 2009 verstarb Pina Bausch plötzlich. Wim Wenders stoppte zunächst die Vorbereitungen, dann wurde aus dem gemeinsamen Projekt eine Hommage an Pina Bausch. „Pina“ wurde als erster 3D Film für den Oscar in der Kategorie Dokumentarfilm nominiert. Welche Forschungsarbeiten und welcher technische Aufwand damit verbunden waren, wurde uns anschaulich berichtet: Es bedurfte der minutiösen Vorbereitung, jede einzelne tänzerische Bewegung vorab zu studieren, damit die Kamera, die über einen teleskopischen Kranarm gesteuert wurde, den Tanz so nah und natürlich wie möglich einfangen konnte. Von Pina Bausch lernte Wim Wenders, das Bewegung aus etwas Innerem entsteht, das raus muss. Nachdem die Kamera fliegen lernte und dann musikalisch wurde, konnte sie nun auch tanzen.

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